20.10.2019
Der Columbus Marathon wird in Kooperation mit dem Nationswide Children’s Hospital durchgeführt. Es ist das größte Kinderkrankenhaus der USA! Die Startgelder werden gespendet, zusätzlich kann jeder Läufer selbst noch etwas spenden. Jede Meile ist einem kranken Kind und seinem Motto gewidmet. Wenn es die Gesundheit zulässt, steht jedes Kind mit einer großen blauen Hand an einem Stand und wartet darauf, dass die Läufer sie oder ihn abklatschen. Manchmal übernehmen das auch die Eltern stellvertretend. Jedes Jahr werden neue Kinder ausgewählt und manche werden auch von großen Firmen gesponsert.
Wir trafen uns um 6:30 Uhr im VIP Zelt auf dem Marathongelände. Es war kalt (ca. 5 Grad) und dunkel. Ich war müde und hellwach zugleich. Vor dem Start konnten wir uns an einem Buffet stärken und heißen Kaffee trinken. Das nahmen jedoch eher unsere Hosts in Anspruch 😀 Gegen 7:15 verließen M und ich das Zelt und liefen gemeinsam zum Start. Ich bin sehr froh, dass sich die Aufregung in diesem Moment auf vier Schultern verteilte und wir zu zweit das Feuerwerk und den Startschuss für den Marathon erlebten.
Beim Columbus Marathon ist es Brauch, ein sogenanntes Throw-away-Item zu tragen. Man nimmt entweder ein eigenes Kleidungsstück oder kauft für 3 Dollar bei der Race Expo etwas. Dies kann eine Jacke, ein Pullover, eine Decke, Weste oder sonstiges sein. Das Kleidungsstück wird dann kurz vor oder nach dem Start über die Straßenabsperrung geworfen. Alles wird von freiwilligen Helfern eingesammelt, gewaschen und im nächsten Jahr verkauft, um Spenden für gemeinnützige Organisationen und das Krankenhaus zu sammeln. An diesem Punkt möchte ich nochmal erwähnen, dass alle Helfer ehrenamtlich arbeiten und es keine Aufwandsentschädigung gibt! In den USA nennt man freiwilliges Engagement „Volunteer“. Dies gehört hier zum guten Ton und es ist völlig normal, sich regelmäßig ehrenamtlich an verschiedenen Aktionen zu beteiligen. Austin’s Volunteerliste ist so lang, dass ich mich direkt schlecht gefühlt habe… Aber es ist nie zu spät, etwas zu ändern!
Zurück zum Marathon. Ich wusste aus Erzählungen, was mich erwarten würde. Ich war aber trotzdem nicht auf die extreme Emotionalität vorbereitet, die mich während des Laufes treffen würde. Es standen unglaublich viele Menschen am Straßenrand. Viele hielten Plakate hoch, picknickten oder hielten ihre Hand zum Abklatschen hin. Sie jubelten und schrien und feuerten die Läufer an. Die Strecke war (für mich) recht anspruchsvoll, da die Straße gewölbt war und es auf und ab ging und zwischenzeitlich 200 Höhenmeter zu überwinden galt. Aber immer wenn ein neuer Meilenabschnitt begann und das Thema des Kindes in Sicht kam, wurden die Beine schneller. An Meile 2 und 7 stand mein Host Austin, jubelte und hielt sein Dresden Marathon T-Shirt hoch. Wir klatschten uns ab und weiter ging es.
Auf Meile 11 war ich besonders gespannt, denn diese war den Kindern gewidmet, die nicht mehr unter uns weilen. Ich hatte Angst, dass es traurig sein würde. Aber es war die Meile mit dem größten Jubel, der lautesten Musik und den fröhlichsten Gesängen. Viele Eltern hielten Plakate ihrer verstorbenen Kinder hoch und jubelten den Läufern zu. Es war atemberaubend. Einige von euch hatten gefragt, warum an dieser Meile jemand „auf mich wartet“. Am 11. März 2013 verstarb mein zweiter kleiner Bruder Tom mit nur 17 Jahren bei einem Verkehrsunfall. Er war familiär gesehen nicht mein Bruder, aber da mein Bruder Tom und er seit Geburt an dickste Freunde waren und ich oft zwei nervende kleine Brüder zu Hause hatte (Tom&Tom), fühlt es sich für mich so an. Das Wort „Familie“ ist nicht einfach zu definieren und lässt sich nicht nach starren Regeln in eine Box stecken. Menschen die wir lieben, ehren und respektieren gehören manchmal mehr dazu, als richtige Blutsverwandte. Die zwei T’s und ich waren oft bei Fußballspielen von Dynamo Dresden. Und ich bin mir sicher, dass ich ein gelbes Trikot in der Menge erblicken konnte 😉 Nach einer kurzen Pause, um meine Tränen zu trocknen und meine Atmung wieder in den Griff zu bekommen, lief ich weiter.
Ab Meile 13 kam dann langsam das Ziel in Sicht. Ich war sehr langsam und alles tat irgendwie weh. Aber ich habe es ins Ziel geschafft! Es ist kein persönlicher Rekord, aber das tut nichts zur Sache. Ich freue mich wahnsinnig über meine Medaille, über den Lauf, über die vielen fröhlichen Menschen vor Ort und das ich Teil dieses wunderbaren Austausches sein konnte. Ich wartete mit R bis die Marathonläufer ins Ziel kamen und futterte fröhlich das Buffet leer. M rannte in Columbus ihren ersten Marathon! Und ich ziehe vor jedem den Hut, der diese unglaubliche Distanz absolviert!
Nach dem alle wohlbehalten wieder im VIP-Zelt angekommen waren, gab es noch ein Finisher-Foto und danach ging es ab nach Hause. Am Abend trafen wir uns mit Austin’s Freunden zum Bowling. Trotz meines Muskelkaters schlug ich mich ganz gut und verlor nur knapp beide Runden mit 2 Punkten unterschied. Außerdem besuchten wir noch eine typische amerikanische Spielhalle, in der wir Riesen-Jenga, Riesen-Ping-Pong, Packman und Doodle Jump spielten. Es war ein gelungener und spaßiger Abschluss eines berauschenden Tages!
Auch hier muss ich mich melden. Deine Emotionslast vor diesem Lauf habe ich schon in unserem Chat bei WhatsApp gespürt. Leider war ich zu weit weg, um dich zu drücken. Ich konnte dir einfach nur viel Kraft wünschen. Und du hast es geschafft. Keine neue Bestzeit aber der Lauf deines Lebens! Hut ab! Manchmal habe ich vorher schon gezweifelt, ob du diese Distanz wieder gut meisterst. Bei deinem vollen Terminplan machte ich mir schon Gedanken, ob du gut trainiert hast. Aber wie wir wieder sehen, du bist über dich hinaus gewachsen!👍
Besonders der Bericht über die Meile 11 hat mich berührt, wie du dir denken kannst. Wir sind ja vom gleichen Holz geschnitzt. Ich denke , dass du unseren unvergessenen Tom im Dynamoshirt entdeckt und ihn von uns gegrüßt hast.😢
Wir freuen uns bald deine Medaille in echt bestaunen zu können.
Anne 🌞ES IST EIN PERSÖNLICHER REKORD!! Du hast dich selbst besiegt👍Dafür lieben wir. dich auch-weil du soviel möglich machst dich überwindest und auch mal etwas Zuviel vor hast.Wir sind alle sehr stolz auf dich. Und nun komm bald heim damit wir dich drücken können🌞
Ach Anne, ich hätte beinahe geweint bei der Stelle, wo du beschreibst, wie die Eltern mit oder ohne ihre Kinder an der Seite stehen. Das ist wirklich so bewegend! Ich freue mich für dich, dass du das erleben konntest und so tolle BegleiterInnen hattest. 🙂
Freu mich auch schon, wenn du wieder da bist und noch ein wenig davon erzählen kannst. 🙂